05.10.2020, 22:53
Alea vor eine Stunde in Facebook
Bewegende Worte einer starken Frau...
Zitat:In zwei Tagen am (07.10.) werde ich um 17 Uhr auf dem Dernschen Gelände in Wiesbaden eine kleine Rede halten zur Kundgebung der Seebrücke. Ich freue mich wenn ihr dabei seid!
Ich habe heute meinen Text dafür über Moria geschrieben, was mir sehr schwer gefallen ist. Es fällt mir immer schwer zuhause nochmal darin rumzurühren was ich erlebt habe. Zusammen zu fassen und Dinge wieder hochzuholen, die ich eigentlich am liebsten gar nicht mehr denken, fühlen und erinnern möchte.
Aber es ist wichtig. Und dieses Mal war es wirklich besonders wichtig. Ich bin in Lesbos nach Tagen an mein eigenes emotionales Limit geraten. Und ja, ich habe dann einen Fehler gemacht.
Als ich am zweiten Tag nach dem Brand mit dem Flugzeug in Lesbos landetet und auf der Straße angekommen bin, trifft mich der Anblick wie ein Faustschlag.
Ich erblicke entsetzlich leere und erschöpfte Gesichter. In so vielen Augen sehe ich eine tiefe Ermüdung. In die Knie gezwungen ausweglos und voller Trauma. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so etwas gesehen, ich kann das garnicht beschreiben. Gerade die Kinderaugen werden mich noch verfolgen. Die Therapeutin Fabiola und ich sind die einzigen, Helfer auf der Straße. Die Menschen haben Hunger, sie fragen mich nach Wasser. Sie liegen mit ihren Kindern auf dem nackten Asphalt der Straße, oder auf ein bisschen Karton oder Plastik Folie. Viele bitten uns um Hilfe. Aber wir sind nur zu zweit. Wo sind alle großen Organisationen hin? Wo ist der Katastrophenschutz? Ohne, dass wir gesprochen haben war uns klar, dass wir das nicht alleine schaffen. Dass wir zumindest den Arzt Gerhard Trabert um Hilfe bitten müssen.
Die weiteren Tage vergehen für mich wie in Trance. Die Polizei lässt uns nur mit Medikamenten durch, kein Wasser oder Lebensmittel darf zu den Menschen. Andere, private Helfer fangen an und schmuggeln Lebensmittel über die Berge. Aber immer nur so viel, wie sie nicht von der Polizei bemerkt werden. Das muss man sich vorstellen. Man schmuggelt Lebensmittel in Europa um hungernden Menschen etwas zu Essen zu geben. Das alles habt ihr auch hier bei Facebook tagesaktuell mitbekommen. Irgendwann kommt der Caterer endlich wieder. Die Menschen rennen den Autos hinterher, weil sie so einen Hunger haben. Eine Mutter weint laut. Sie hat für ihre Kinder nur eine kleine Schale zu essen bekommen.
Ich filme und fotografiere, helfe wo ich kann. Aber es fällt mir immer schwerer meine hoffnungsvolle und freundliche Art nicht gegen ein von Schrecken und Verzweiflung geplagtes Gesicht zu verlieren. Fabiola nennt mich liebevoll nur noch Pinguin, weil ich so langsam watschel. Alles zieht an meinen Schultern.
Helfer sind dazu da um den Menschen etwas Freude und Hoffnung zu geben, woher soll ich die nehmen? Meine Schultern brechen als ich die Nachricht der Bundesregierung erhalte. Gemeinsam lächelnd beschlossen: maximal 1500 Leute von allen Inseln und aus Athen. Keine Rettung für die Menschen aus Moria. Da bin ich einfach getaumelt, verliere meine Contenance.
Eine Familie die ich auch schon lange kenne fragt mich warum niemand kommt und hilft. Dass ich ihnen die Wahrheit sagen soll. Dass doch so viele Journalisten da sind. Video Kameras, und Fotoapparate nonstop. Dass die Welt doch sehen muss, was hier passiert. Nachdem sie seit über einer Woche auf dem Lidl Parkplatz schlafen und Hunger haben. Die Kinder mit Tränengas beschossen wurden. Warum reagiert niemand fragen sie mich?
Ich sagen ihnen, dass das nicht meine persönliche Meinung ist, aber ich ihnen erkläre wie es ist:
Ich sage ihnen, dass es kein Land gibt, was sie haben will. Dass es um Geld geht und um Macht um Angst vor Fremden und Rassismus und um skrupelloses Bereichern. Ich schaue dabei zu Boden und bin entsetzt über meine eigenen Worte. Das habe ich noch nie so ausgesprochen. Der Vater schreit mich an und sagt: dann deportiert uns zurück nach Afghanistan, lieber sterben wir dort als weiter so leben zu müssen. Ein junger Mann in der Runde sagt: du lügst Alea, das würde niemand machen, die deutschen sind doch gute Leute. Niemals würden wir in Afghanistan sowas anderen Menschen antun sagt er mir. Eine Frau in der Runde sagt mir ich solle ihr Kind nehmen. Bitte wenigstens ihr Baby in Sicherheit bringen, raus aus der Zone, bis nach Deutschland. Sie und ich haben Tränen in den Augen.
Ich hätte gern geweint auf dem Rückweg, kann es aber nicht. Es kommt nicht raus, ich bin blockiert.
Ich weiß, ich habe einen großen Fehler begangen, was habe ich getan.
Ich habe mich unterkriegen lassen. Die nächsten beiden Tage ziehe ich mich zurück. Trage nur noch Taschen und Hilfsgüter, Antworte nur spärlich auf Fragen, gehe Gesprächen aus dem Weg. Teile der Familie nur kurz noch restliche Infos mit um die sie mich gebeten haben.
Solange ich nicht ein wenig Stärke und Hoffnung geben kann, schade ich Anderen und rede nicht mehr. Ich habe Verantwortung. Soweit darf ich es nicht mehr kommen lassen. Das wird mir in meinem ganzen Leben nie wieder passieren.
Zwei Tage später schreibe ich Abends wieder mit Freunden aus dem Camp. Ich tippe in mein Handy auf ihre traurigen Nachrichten: wir alle haben einen Job zu erledigen hier. Gib nicht auf. Du bist nicht alleine....
Und irgendwie sage ich das zu ihnen und zu mir....
Bewegende Worte einer starken Frau...