"Die letzte Bibliothekarin"
In den Ruinen dessen, was einst eine pulsierende Metropole war, steht Sarah zwischen verstaubten Trümmern. Ihr metallener Brustpanzer glänzt matt im Licht der untergehenden Sonne. Sie hatte gerade ihre tägliche Suche nach Vorräten beendet, als sie in den Überresten einer alten Bibliothek etwas Besonderes entdeckte: ein erstaunlich gut erhaltenes Buch aus dem Jahr 2024.
Mit zitternden Händen öffnet sie den in Leder gebundenen Band. Die erste Seite ist mit handgeschriebenen Notizen gefüllt – eine Seltenheit in ihrer Zeit, wo Papier hauptsächlich als Brennmaterial verwendet wird. Die ersten Einträge erzählen von einer Welt, die ihr völlig fremd erscheint.
In der Ferne hört sie das charakteristische Kreischen der Jäger – zwei Meter große, humanoide Kreaturen mit verzerrten Gesichtszügen und messerscharfen Klauen. Die Strahlung hat sie zu perfekten Killern gemacht, die jeden Menschen wittern können. Sarah greift instinktiv nach ihrem Gewehr, doch das Kreischen entfernt sich. Noch ist sie sicher.
Sie konzentriert sich wieder auf das Buch: "14. März 2024: Heute hat meine KI-Assistentin wieder perfekt meine Gedanken verstanden und mir bei der Arbeit geholfen. Es ist erstaunlich, wie natürlich sich unsere Gespräche anfühlen..."
Sarah lacht bitter. KI-Assistenten? In ihrer Welt sind technische Geräte längst verstummt. Sie liest weiter.
"22. April 2024: Das neue Virtual-Reality-System ist unglaublich. Heute habe ich einen virtuellen Spaziergang durch Paris gemacht, während ich eigentlich in meinem Wohnzimmer saß. Die Technik macht solche Fortschritte..."
Fasziniert verschlingt sie Seite um Seite. Geschichten von Menschen, die in klimatisierten Hochhäusern lebten, die sich Essen per App nach Hause bestellten und die sich größte Sorgen darüber machten, welches Selfie sie als nächstes posten sollten.
In ihrem Versteck, einem ehemaligen Bankstresor, hat sie bereits eine kleine Sammlung von Büchern angelegt. Doch dieses hier ist besonders wertvoll. Es zeigt nicht nur eine verlorene Welt, sondern auch, wie schnell alles enden kann. Die Menschen von 2024 hatten keine Ahnung, dass ihre größte Sorge nicht die künstliche Intelligenz sein würde, sondern ihre eigene Unfähigkeit, die Warnzeichen der kommenden Katastrophe zu erkennen.
Ein weiteres Kreischen, diesmal näher. Sarah weiß, sie muss sich beeilen. Die Jäger werden in der Dunkelheit aktiver, und ihre Panzerung würde gegen ihre Klauen nicht lange standhalten. Vorsichtig steckt sie das Buch in ihre abgenutzte Ledertasche.
Mit geschultem Blick sucht sie den sichersten Weg durch die Ruinen. In der Ferne sieht sie die versteckten UV-Lampen ihrer Siedlung schwach schimmern – das einzige, was die Jäger noch zurückhält. Das Wissen der Vergangenheit ist kostbar, und sie wird es um jeden Preis zu ihrer Gemeinschaft bringen. Vielleicht liegt in diesen vergilbten Seiten der Schlüssel zum Überleben – oder sogar zum Wiederaufbau einer besseren Welt.